Augen

Newsletter 3/09

Inhalt

1. Editorial
2. Thema: Heinrich Hoffmann (1809-1894)
3. Karl Hans Janke zum 100. Geburtstag
4. Termine und Empfehlungen
5. Ihre Unterstützung
6. Abonnement und Kontakt
7. Impressum

1. Editorial

Liebe Freunde des Sächsischen Psychiatriemuseums,

fast eintausend Besucher konnten wir zur diesjährigen Museumsnacht im Sächsischen Psychiatriemuseum begrüßen. Eigentlich war geplant, dass nach der Museumsnacht mit der Sanierung des Hauses in der Mainzer Strasse begonnen wird. Da sich die Arbeiten noch um einige Monate verzögern, haben wir die Ausstellung "Psychiatrie in der Wende" nun bis zum 3. Oktober 2009 verlängert. Auch einige Veranstaltungen des Festivals "Kunst ist verrückt" im November 2009 werden noch in unserem Haus stattfinden. Geplant ist unter anderem ein Vortrag über den Autor und Arzt Heinrich Hoffmann, dessen zweihundertster Geburtstag in diesen Tagen begangen wird. Im August wäre auch Karl Hans Janke hundert Jahre alt geworden. Beiden Jubiläen sind Beiträge in diesem Newsletter gewidmet, der, so hoffe ich, Ihr Interesse findet.

Ihr Thomas R. Müller
Leiter des Sächsischen Psychiatriemuseums

2. Thema: Heinrich Hoffmann (1809-1894)

Vor zweihundert Jahren, am 13.06.1809, wurde der Arzt und Kinderbuchautor Heinrich Hoffmann in Frankfurt am Main geboren. Der Autor des "Stuwwelpeter" und weiterer Kinderbücher, sowie von Gedichten und Satiren, der sich selbst nicht als Dichter, sondern als "Gelegenheitsversemacher" verstand, hatte auch einige biografische Berührungspunkte mit dem mitteldeutschen Raum. Zum Medizinstudium kam Hoffmann u.a. nach Halle. In einem Brief an seine Eltern schrieb er 1832: "Die Stadt ist altmodisch, winklig und schmutzig; Gelegenheit zur Zerstreuung gibt es wenige, fast keine; dagegen um so mehr zur Erlernung praktischer Kenntnisse. ... kurz, ich kann mir nur Glück wünschen, dass ich meine Schritte hierher gelenkt habe." 1834 kehrte Hoffmann nach Frankfurt zurück und ließ sich als praktischer Arzt und Geburtshelfer nieder. 1851 übernahm er die ärztliche Leitung der dortigen "Anstalt für Irre und Epileptische", die sich in einem "trostlosen Zustand" befand. Jahrelang warb er deshalb für einen Neubau der Anstalt. Seinen Urlaub nutzte er für Studienreisen, auf denen er zahlreiche Anstalten in Deutschland besuchte. 1852 kam er in unsere Region und besichtigte die Anstalt Sonnenstein bei Pirna, den Lindenhof in Coswig und die Heilanstalt Nietleben bei Halle. In Leipzig "beaugenscheinigte" er die Anstalt Thonberg des Dr. Güntz, Vater und Sohn. Auch sein Urteil über diese Stadt ist wenig schmeichelhaft: "Leipzig machte mir auch diesmal einen langweiligen Eindruck."
Zwischen 1859 und 1864 wurde schließlich auf dem Frankfurter Affenstein eine moderne Heil- und Pflegeanstalt gebaut, die sich stark an der von Christian Friedrich Wilhelm Roller geleiteten badischen Heil- und Pflegeanstalt Illenau orientierte. Hoffmann betrachtete den von ihm konzipierten und realisierten Neubau, der von den Frankfurtern wegen seines prächtigen neugotischen Baustils "Irrenschloß" genannt wurde, als sein "Lebenswerk". Heinrich Hoffmann war 37 Jahre als Psychiater tätig, als er 1888 in Pension ging. Er starb 1894 in Frankfurt.

Tipps um Thema

Aus Anlass seines Geburtstages zeigt das "historische museum frankfurt" vom 13. Juni bis 20. September 2009 die Sonderausstellung "Peter Struwwel - Heinrich Hoffmann. Ein Frankfurter Leben, 1809-1894". Zur Ausstellung ist im Michael Imhof Verlag ein umfangreiches Begleitbuch erschienen.
Wolfgang P. Cilleßen/ Jan Willem Huntebrinker (Hg.),
Heinrich Hoffman - Peter Struwwel. Ein Frankfurter Leben 1809-1894
(= Schriften des Historischen Museums, Bd. 28), Petersberg 2009
ISBN: 978-3-89282-052-9, 384 S., 24,80 Euro

Empfehlenswert ist auch das Lesebuch Heinrich Hoffmann "Allerlei Weisheit und Torheit" aus dem Mabuse-Verlag:
Heinrich Hoffmann - »Allerlei Weisheit und Torheit«, Ein Lesebuch zum 200. Geburtstag des berühmten Frankfurter Arztes und Kinderbuchautors, hrsg. von Helmut Siefert und Marion Herzog-Hoinkis, Klappenbroschur, 16 Seiten Bildteil, 166 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-940529-49-7

Die Stadt Franfurt hat eine Homepage eingerichtet, auf der die Veranstaltungen zum Jubiläum zusammengefasst sind.

www.hoffmann-sommer.de

Lohnenswert ist auch ein Besuch im Frankfurter Struwwelpeter Museum, dessen Träger die frankfurter werkgemeinschaft e.V. ist, ein Sozialwerk für psychisch erkrankte und behinderte Menschen.

www.struwwelpeter-museum.de

Im MuSeele, Christophsbad, Göppingen läuft noch bis zum 30. Dezember 2009 die Ausstellung "Struwwelpeter und andere irre Kinder. Eine Ausstellung zur Kinder- und Jugendpsychiatrie".

www.museele.de

3. Karl Hans Janke zum 100. Geburtstag

Am 21. August 1909 jährt sich der Geburtstag von Karl Hans Janke zum einhundertsten Mal. Janke wurde in Kolberg/Pommern geboren, seine Eltern betrieben eine Landwirtschaft. Er machte Abitur und stand zwischen 1941 und 1943 im Kriegsdienst. Nach dem Tod des Vaters kam die Familie 1945 nach Großenhain in Sachsen. Als 1948 auch die Mutter starb, wurde Janke "auffällig" und kam zunächst in die Nervenklinik Arnsdorf und wurde 1950 mit der Diagnose "chronisch paranoide Schizophrenie" in das Landeskrankenhaus Hubertusburg verlegt, wo er bis zu seinem Tod am 15. Februar 1988 lebte.
In den fast vierzig Jahren seines Aufenthaltes in der Psychiatrie entstanden Tausende von Zeichnungen, auf denen er seine Erfindungen, hautsächlich Flugzeuge, Raumschiffe und Antriebstechnologien, aber auch Alltagsgegenstände festhielt. Janke suchte Kontakt zu Forschungseinrichtungen und Betrieben in der DDR. Doch es lag wohl auch an seiner Stigmatisierung als Psychiatriepatient, dass seine Arbeiten wenig Resonanz fanden und er in seiner Welt gefangen blieb. Immerhin schuf er sich in der Klinik Freiräume für seine Beschäftigungen und verschaffte sich die besondere Aufmerksamkeit der Ärzte und des Personals. Dies trug dazu bei, dass viele Zeichnungen und Korrespondenzen nach seinem Tod aufbewahrt wurden. Im Jahr 2000 wurden Jankes Arbeiten von Dr. Peter Grampp in auf dem Dachboden verstauten Koffern wiederentdeckt.
Eine der ersten Ausstellungen mit Bildern Karl Hans Jankes fand im Jahr 2001 aus Anlass der Eröffnung des Sächsischen Psychiatriemuseums in Leipzig statt. In der Dauerausstellung des Museums ist ihm unter dem Titel "Erfinder, Künstler, Psychiatriepatient" ein Kapitel gewidmet.
Seither hat sein Jankes Werk eine große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Zahlreiche Ausstellungen, u.a. in Dresden, Gheel, Peenemünde und Berlin, präsentierten seine Schöpfungen. Beiträge in Presse, Rundfunk und Fernsehen und ein Theaterstück, das am Hans Otto Theater Potsdam uraufgeführt wurde, dokumentieren die Faszination, die Jankes Oeuvre und Schicksal bis heute ausüben.

Ein Großteil des Nachlasses wird inzwischen von dem Verein Rosengarten e.V. verwaltet, gepflegt und zugänglich gemacht. Der Verein hat auch eine Ausstellung erarbeitet, die Dienstag bis Sonntag von 11 Uhr bis 16 Uhr und nach Absprache in Hubertusburg besichtigt werden kann.

Kontakt und weitere Informationen:

www.karl-hans-janke.de
www.rosengarten-ev.de

4. Termine und Empfehlungen

Termine

"NS-,Euthanasie' vor Gericht - Der Prozess vor dem Landgericht Dresden 1947"

Die Wanderausstellung, an deren Erarbeitung auch das Sächsische Psychiatriemuseum beteiligt war, wird bis zum 26. Juni 2009 im DIZ Torgau täglich von 10 bis 18 Uhr gezeigt.

www.stsg.de

2nd International Conference on Psychiatric Museums and History of Psychiatry
29. bis 31. Oktober 2009 in Prag

www.icmhp.eu

Gern veröffentlichen wir an dieser Stelle auch Ihre psychiatriegeschichtlichen Veranstaltungen und Termine. Der nächste Newsletter erscheint im September 2009.

Buchempfehlung

"Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst" - Lebensgeschichten von Opfern der nationalsozialistischen "Euthanasie".
Herausgegeben von Petra Fuchs, Maike Rotzoll, Ulrich Müller, Paul Richter und Gerrit Hohendorf, Wallstein Verlag, Göttingen 2007, 387 Seiten mit 55 Abbildungen, 29,90 EURO

Therese W. wird 1883 in München geboren. Ihr Vater ist Unternehmer und Künstler. Sie geht in die Klosterschule, ist Klassenbeste, doch ihre Eltern verwehren ihr den Besuch des Gymnasiums. Die Mutter stirbt früh und Therese muss den väterlichen Haushalt führen. Auch nach der Hochzeit mit Dr. Ludwig W. fühlt sie sich in die Rolle der Ehefrau und Mutter gedrängt und leidet darunter, ihre eigenen Interessen nicht verwirklichen zu können. Als Ludwig W. 1923 Institutsdirektor an der Universität Leipzig wird, zieht die Familie nach Leipzig. Mit einem Doktoranden ihres Mannes glaubt Therese sich ihre Sehnsucht nach dem "idealen Freundschaftsbündnis" mit einem Mann erfüllen zu können. Sie fordert die Scheidung und wird, nachdem der Ehestreit eskaliert, 1924 in der Psychiatrischen Klinik der Universität Leipzig aufgenommen. Die Ärzte beschreiben sie als hochgebildete Frau von natürlichen und zugleich gewandten Umgangsformen. Aber sie sehen auch ihren inneren Konflikt in der Entscheidung zwischen der Rückkehr in die Familie und der Selbstverwirklichung. Nach vier Monaten wird sie entlassen und von einem jüdischen Psychiater weiter behandelt. Doch als dieser nicht mehr praktizieren darf, kommt es 1935 zur erneuten Aufnahme in der Psychiatrie. In einem Brief appelliert sie an Ludwig: "Ein gesunder Mensch taugt nicht für die Gefangenschaft ... in einer Nervenklinik. Lass diesen Kelch an mir vorübergehen! ... Es gibt doch so viele Sonderlinge im Leben, die man trotzdem auf freiem Fuss belässt! Richte Dich nicht so strikt an das "normal" der Öffentlichkeit! Wenn alle Menschen gleichmässig normal wären, gäbe es niemals ein Vorwärts im Leben!" Doch statt der Entlassung wird sie 1936 auf den Sonnenstein verlegt. Dort erhält sie eine Cardiazol-Schockbehandlung. Als die erhoffte Besserung ausbleibt, scheinen die Ärzte Therese aufgegeben zu haben. Auch der Kontakt zur Familie nimmt ab. Ihr Ehemann, der inzwischen für die Luftflotte arbeitet, wird nach Norwegen abkommandiert. Therese wird nach Leipzig-Dösen und später nach Arnsdorf verlegt. Die immer spärlicher werdenden Eintragungen in der Krankenakte dokumentieren, dass sich Therese mehr und mehr zurückzieht: "Widersterbend, abweisend, ohne Kontakt, gehemmt." Anfang 1941 erfolgt der Abtransport in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Die Proteste der Familie kommen zu spät. Therese W. wird wahrscheinlich am 3. Februar 1941 in Pirna vergast.

Das fast unglaubliche Schicksal der Therese W., die aus der Münchner Oberschicht stammt und wegen ihres, die gesellschaftlichen Konventionen unterlaufenden Verhaltens in die Psychiatrie geriet und als langjährige, von den Ärzten aufgegebene Anstaltinsassin schließlich dem nationssozialistischen Mordprogramm zum Opfer fiel, ist eine von dreißig Lebensgeschichten aus dem Band "Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst", 2007 im Göttinger Wallstein Verlag erschienen. Versammelt sind Biografien von Frauen und Männern, Minderjährigen und Alten, geistig behinderten, psychisch kranken und sozial auffälligen Menschen. Einige Texte umfassen nur zwei Seiten, andere, wie der über Therese W., sind ausführlich. Im Falle der Therese W. ist eine umfangreiche Krankenakte überliefert und konnte ihr jüngster Sohn befragt werden. Bei manchen Fällen sind dagegen nur wenige Vermerke des Personals in der Akte zu finden, andere Beschreibungen stützen sich auf Selbstzeugnisse der Opfer oder Briefe von Angehörigen und Behörden. Auch die Herangehensweise der rund zehn Autoren ist individuell. Beiträge in einem eher nüchternen Stil, der sich auf die Aussagekraft der Fakten verlässt, werden von vorsichtig kommentierenden und interpretierenden Texten abgelöst. Diese Nuancen tragen zur guten Lesbarkeit des Bandes bei.
Entstanden ist das Lesebuch im Rahmen eines Forschungsprojektes der Psychiatrischen Klinik Heidelberg, das sich mit dem kollektiven Schicksal der ermordeten Patientinnen und Patienten psychiatrischer Heil- und Pflegeanstalten beschäftigt. In der Studie wurde eine Stichprobe von über 3000 Krankenakten nach empirisch-statistischen Kriterien mit dem Ziel einer soziodemografischen Beschreibung der Gruppe der Opfer der "Aktion T 4" ausgewertet. Die einführenden Beiträge deuten an, dass das Projekt sehr aufschlussreiche Zahlen und Statistiken über die Zusammensetzung der Opfer liefert, die Rechtfertigungsstrategien der Täter als Propaganda und Lüge entlarven, aber auch einige Annahmen der "Euthanasie"-Forschung revidieren. So deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, dass in bisher unerwartetem Ausmaß auch Angehörige der Mittelschicht von der "Euthanasie" betroffen waren.
Dieses Buch macht deutlich, welche individuellen Schicksale sich hinter der kollektiven Perspektive verbergen. Es leistet damit einen beachtlichen Beitrag gegen das Vergessen der Vernichtung psychisch Kranker und behinderter Menschen, die als Gruppe auch innerhalb der Opfer des Nationalsozialismus eine randständige und stigmatisierte Position einnehmen.

Thomas R. Müller

5. Ihre Unterstützung

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Konto-Nr.. 3 52 14 02
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6. Abonnement und Kontakt

Um den Newsletter abzubestellen oder mit uns Kontakt aufzunehmen, schicken Sie uns bitte eine Mail:

7. Impressum

Herausgeber:Sächsisches Psychiatriemuseum
des Vereins Durchblick e.V.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Thomas R. Müller

Redaktionsschluss: 30.06.2009

www.psychiatriemuseum.de
www.durchblick-ev.de

© Sächsisches Psychiatriemuseum Mainzer Straße 7  04109 Leipzig

Sächsisches Psychiatriemuseum
Projekt des Durchblick e.V.
Mainzer Str. 7
04109 Leipzig
Tel: 0341/14061413
Fax: 0341/14061419
www.psychiatriemuseum.de

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